Adipositas beeinträchtigt die Adaptive Immunantwort auf eine Influenza Virus Infektion

Johann Reichhardt
Johann Reichhardt
Referent INSUMED Akademie
Obesitas und Immunantwort

Die enorm bedeutende Übersichtsarbeit „Obesity Impairs the Adaptive Immune Response to Influenza Virus“ von Green und Beck erschien bereits in 2017 unter der Rubrik TRANSATLANTIC AIRWAY CONFERENCE in „Annals of the American Thoracic Society“ (1). Wegen vielfältiger Bedeutung von Immunstörungen durch Adipositas sowohl im Hinblick auf die individuellen infektiologischen und meabolischen Gesundheitsrisiken als auch in Bezug auf epidemiologische Konsequenzen von Adipositas bei Influenza-Infektionen wird die Arbeit nachfolgend ausführlich referiert.

Influenza: Fakten und Zahlen

Influenza ist eine hoch kontagiöse Infektion des Respirationstraktes. Weltweit sterben jedes Jahr durchschnittlich 250.000 bis 500.000 Menschen als Folge einer Influenza-Infektion. Ca. 3 bis 5 Millionen Menschen sind jährlich schwer von einer Influenza-Infektion betroffen.

Anmerkung: Die außergewöhnlich starke Grippewelle 2017/18 hat nach Schätzungen rund 25.100 Menschen in Deutschland das Leben gekostet. Das sei laut RKI die höchste Zahl an To­des­fällen in den vergangenen 30 Jahren. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/106375/Grippewelle-war-toedlichste-in-30-Jahren

Influenza ist ein RNA-Virus und ist umhüllt von einer Oberfläche aus viralem Hämagglutinin und Neurominidase. Es existieren 4 Stämme von Influenza-Viren: A, B, C und D, wobei A und B beim Menschen die häufigsten Erreger sind. Saisonale Veränderungen der antigenen Eigenschaften von Hämagglutinin und Neuroaminidase in der Virushülle machen es möglich, dass das Virus vom Wirt trotz früherer Antikörper-Produktion gegen Influenza nicht erkannt werden kann und es zu einer Reinfektion kommt. Antigene Veränderungen der Virushülle oder Kombinationen aus verschiedenen Influenza-Viren können ein neues Virus entstehen lassen, das sich dann als neuer Influenza-Stamm sehr schnell und pandemisch verbreitet. Eine solche Pandemie war die Spanische Grippe in 1918, die die dramatische Bedeutung von hoch virulenten respiratorischen Infekten durch ein neuartiges Influenza-Virus auf die Bevölkerung aufzeigte und die Wichtigkeit präventiver Maßnahmen hervorhebt.

Influenza: Prävention durch Impfung

Die regelmäßige  Impfung hat derzeit  eine primäre Bedeutung für die Prävention der Influenza-infektion. Sie wird mit einem 4-fach valenten Impfstoff durchgeführt, der aus einem Influenza A und B Stamm zusammengesetzt ist. Die Impfung bewirkt eine Stimulierung des Immunsystems, sodass nach einer erneuten Exposition über das zelluläre und humorale „Gedächtnis“ das Virus eliminiert wird und eine Infektion oder das Auftreten von Krankheitsbeschwerden verhindert wird.

Allerdings und trotz aller Anstrengungen um die Impfung bleibt für bestimmte Personen ein erhöhtes oder hohes Risiko für eine Influenza-Infektion bestehen: Kleine Kinder, ältere Menschen oder Menschen mit gestörter Immunität, worunter auch Adipositas zählt.Von größter Bedeutung wird es in Zukunft sein, Therapien und Impfstoffe zur Stimulierung eines Immunschutzes für die Hochrisiko-Gruppen zu entwickeln.

Adipositas: ein neuer Risikofaktor für Influenza

Adipositas ist verbunden mit einem erhöhten allgemeinen Risiko für Chronische Erkrankungen und nach neueren Daten auch mit einem hohen Risiko für Infektionskrankheiten. Nach dem ersten pandemischen Influenza-Ausbruch in 2009 durch H1N1 konnte ein erhöhter BMI von > 30 kg/m² als unabhängiger Risikofaktor für eine erhöhte Morbidität und Mortalität identifiziert werden. In einer anderen Untersuchung zur Pandemie des Jahres 2009 traten in 51% von insgesamt 534 Influenza-Fällen bei Erwachsenen mit Adipositas auf. Das Risiko für eine stationäre Aufnahme wegen einer Atemwegsbeteiligung durch Influenza war bei einem BMI zwischen 30 und 35 um 1,45 fach erhöht und bei einem BMI von höher als 35 um das 2,12 –fache erhöht.

Adipositas ist somit ein Hoch-Risikofaktor für eine Influenza-Infektion besonders unter dem Aspekt, dass die Häufigkeit von  Adipositas weltweit stark zunimmt und das Risiko für eine  Bedrohung durch eine schwere Influenza-Infektion ca. 500 Millionen Menschen weltweit betrifft.

Adipositas und Influenza: Erkenntnisse aus dem Tiermodell

Ähnlich wie bei Adipositas von Erwachsenen haben auch Mäuse mit Nahrungsinduzierter Adipositas eine höhere Mortalität. Sie entwickeln bei Influenza-Infektion eine stärke pulmonale Entzündung und stärkere Lungenschädigung und weisen eine höhere Anzahl an zytotoxischen T-Zellen auf bei gleichzeitig geringerer Anzahl von T-Supressorzellen.

Adipöse Mäusen zeigen eine gestörte (verminderte)  zelluläre Immunantwort auf eine Influenza-Impfung und auch auf eine sekundäre Infektion mit Influenza-Viren. Ursache ist die verminderte Produktion an T-Zellen und an Interferon Gamma (IFN-ɣ). IFN-ɣ ist eines der Schlüsselenzyme bei der Beseitigung von Influenza-Viren.

Nahrungsinduzierte adipöse Mäuse haben eine verminderte Anzahl an Lymphzyten des Knochenmarks (B-Zellen). B-Zellen sind die primären Memory-Zellen („Gedächtnis-Zellen“) und sind verantwortlich für die Produktion von Antikörpern = humorale Immunantwort. Auch nach mehr als 1 Monat nach einer Influenza-Infektion können   Influenza-spezifische Antikörper  bei adipösen Mäusen fehlen, verbunden mit einer erhöhten Mortalität.

Wenn infolge der Adipositas auch ein Leptinmangel im Hypothalamus vorliegt, ist die Adaptive Immunantwort von T-Lymphozyten zusätzlich stark gestört, weil Leptin verantwortlich ist für die enzymatische Aktivität von T-Zellen gegenüber einem Pathogen. Zudem haben adipösen Mäuse eine verminderte Anzahl von regulatorischen T-Zellen in der Lunge. Diese Störungen der zellulären Immunantwort bedingen eine  erhöhte Mortalität von adipösen Mäusen nach einer H1N1-Influenzainfektion. Hinzu kommt, dass Adipositas von sich aus eine metabolische  Situation darstellt, die  durch fortwährende kalorische Überernährung eine hormonelle Störung und eine chronische systemische Entzündung verursacht, die für eine höhere Rate an Influenza-Infektionen und Mortalität mitverantwortlich ist. Dies deckt sich mit den Befunden der metabolischen Störung bei Menschen.

Adipositas und Influenza: Übertragung der Erkenntnisse

In einer Untersuchung der Autoren zur serologischen Reaktion auf eine vorherige Influenza-Impfung zeigte sich nach der Impfung zunächst kein Unterschied im Antikörper-Titer zwischen Personen mit gesundem Gewicht, übergewichtigen oder adipösen Personen. 1 Jahr nach der Impfung allerdings war der Abfall der Antikörper-Tier bei Übergewichtigen und Adiopösen deutlich stärker.

Bei einem Stimulationstest konnten T-Zellen (T-Lymphzyten) von Übergewichtigen Erwachsenen weniger stark zur Aktivität angeregt werden -Expression bestimmter Marker oder Produktion von  Interferon Gamma – beides wichtige Komponenten für die Influenza-Elimination.

In einer Beobachtungsstudie (2013-2014 und 2014-2015) an 1.022 sicher an Influenza-Infektion erkrankten  Teilnehmern konnte nachgewiesen werden, dass adipöse Erwachsene trotz vorheriger Impfung  ein zweifach höheres Risiko für eine Influenza-Infektion oder Influenza-ähnliche Krankheitssymptome hatten als geimpfte mit gesundem Gewicht. Ursache ist die gestörte Immunantwort von Effektor-T-Zellen als Folge der metabolischen Störung bei Adipositas zusammen mit einer chronischen pro-inflammatorischer Umgebungsbedingungen im Körper (bekannt auch als Chronische niedriggradige Fettgewebsentzündung d.R.).

Adipositas als mögliche Mit-Ursache einer Influenza-Ausbreitung

In einer aktuellen Übersicht von H.E. Maier et. (2) aus 2018 wird als Ergebnis aus epidemiologischer Studien hervorgehoben, dass eine Virusinfektion mit Influenza A bei Adipositas  längere Zeitverläufe hat. Zudem ist die Dauer der Ausscheidung von Influenza A Viren  bei adipösen Erkrankten, die gleichzeitig Krankheitsbeschwerden aufwiesen, um mehr 405% länger als bei nicht adipösen Erwachsenen. Bei symptomarmen oder sogar asymptomatischen Influenza A Infektionen war die erregerausschiedung bei Adipositas um bis zu 104% länger als bei Normalgewichtigen Personen.

Für eine Infektion mit Influenza B konnte eine ähnliche Beziehung nicht nachgewiesen werden. Laut den Autoren legen die Befunde nahe, dass Adipositas auch eine Rolle spielt in der Übertragung von Influenza-Infektionen.

Zusammenfassung und Bewertung

  • Influenza ist eine hoch kontagiöse, saisonale Infektion, die den  Atemtrakt betrifft. Influenza bedeutet eine wiederkehrende Bedrohung der öffentlichen Gesundheit,“ weil das Auftreten  eines neuen Virus das Potenzial  hat, eine hoch pathogene Pandemie zu erzeugen“.
  • Die neuerliche Identifikation von Adipositas als unabhängigen Risikofaktor für Influenza –Morbidität und Influenza-Mortalitäterhöht das Risiko für eine Influenza Infektion  für nahezu 500 Millionen Menschen mit Adipositas weltweit.
  • Das erhöhte Risiko von Adipositas für eine Influenza-Infektion trotz Impfung ist eine hohe Herausforderung für den zukünftigen Schutz gegenüber Influenza
  • Adipositas ist ein eigenständiger Risikofaktor für eine längere Virusausscheidung und für die Übertragung von Influenza-A-Infektionen

Die referierten Übersichtsarbeiten haben eine extreme Bedeutung für die klinische Praxis. Das betrifft die Prävention, die individuelle Risikoanalyse und die konsequente Gesundheits- und Ernährungsberatung.  Zukünftige Strategien müssen auf die rechtzeitige Identifizierung von neuen Risikogruppen zielen wie Adipositas, aber auch die Gruppe von mangelernährten älteren Menschen oder Menschen mit präexistenten metabolischen Störungen und chronischen Erkrankungen.

Die Strategie beinhaltet neben der intensivierten Impf-Prophylaxe von Risikogruppen auch die routinemäßige Analyse der Körperkomposition zur rechtzeitigen Identifizierung und rechtzeitigen Verbesserung von ernährungsbedingten Veränderungen, die Mit-Ursache von folgenschweren Störungen der Immunabwehr sein können. Die klinische Ernährungsberatung wird sich in Zukunft an den neuen Paradigmen orientieren müssen, die auch infektions-epidemiologische Aspekte einschließt. Die Vorgaben setzen voraus, dass Risikoanalyse zwingend auch die Analyse der Körperkomposition als routinemäßige Maßnahme einschließt.

Quellen:

(1) Green WD, Beck MA. Obesity Impairs the Adaptive Immune Response to Influenza Virus. Ann Am Thorac Soc. 2017;14(Supplement_5):S406–S409. doi:10.1513/AnnalsATS.201706-447AW
(2) Maier HE, Lopez R, Sanchez N, et al. Obesity Increases the Duration of Influenza A Virus Shedding in Adults. J Infect Dis. 2018;218(9):1378–1382. doi:10.1093/infdis/jiy370

Literaturempfehlungen:

Obesity may also impact flu transmission, not just severity of illness. https://www.sciencedaily.com/releases/2018/08/180802102406.htm

Gerriets VA, MacIver NJ. Role of T cells in malnutrition and obesity. Front Immunol. 2014;5:379. Published 2014 Aug 11. doi:10.3389/fimmu.2014.00379

Kok J, Blyth CC, Foo H, et al. Viral pneumonitis is increased in obese patients during the first wave of pandemic A(H1N1) 2009 virus. PLoS One. 2013;8(2):e55631. doi:10.1371/journal.pone.0055631

La Cava A. Leptin in inflammation and autoimmunity. Cytokine. 2017;98:51–58. doi:10.1016/j.cyto.2016.10.011

Maurya R, Bhattacharya P, Dey R, Nakhasi HL. Leptin Functions in Infectious Diseases. Front Immunol. 2018;9:2741. Published 2018 Nov 26. doi:10.3389/fimmu.2018.02741

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Martí A, Marcos A, Martínez JA. Obesity and immune function relationships. Obes Rev. 2001;2(2):131–140. doi:10.1046/j.1467-789x.2001.00025.x

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